Amok, Unfall, Katastrophen - Journalismus in traumatisierenden Situationen

Kein Chefredakteur würde auf die Idee kommen, einen Reporter zu einem Fußballspiel zu schicken, der keine Ahnung von den Abseitsregeln hat. Oder einen Gerichtsreporter einstellen, der sich nicht mit dem Strafgesetzbuch auskennt. Bei Unfällen, Verbrechen oder anderen Katastrophen sähe es jedoch anders aus.

Täglich würden Journalistinnen und Journalisten ohne die richtige Ausbildung in traumatisierende Situationen geschickt, so Bruce Shapiro, Direktor des Dart Center für Journalismus & Trauma, zu Beginn einer Podiumsdiskussion zum Thema „Amokläufe, Gewalt, Konflikte und die Zukunft des Journalismus: Wie gehen Medienarbeiter mit traumatischen Situationen um?“ im Hamburger Amerikazentrum diese Woche.

Dabei gehe es nicht nur um Kriegs- und Krisenreporter, sondern könne jeden Journalisten auch vor der eigenen Haustür treffen, etwa bei Amokläufen wie in Winnenden oder dem norwegischen Utöya, Großschadensfällen wie dem ICE-Unglück in Eschede oder der Love Parade in Duisburg. Auch Lokalreporter begegneten in ihrer alltäglichen Arbeit Verbrechen, Unfällen, Bränden oder Selbstmorden.

Das Dart Center für Journalismus & Trauma an der New Yorker Columbia University Graduate School of Journalismhat sich zur Aufgabe gemacht, Journalistinnen und Journalisten besser auf solche potentiell traumatisierenden Situationen vorzubereiten und die sensible und sachkundige Berichterstattung über Tragödien und Gewalt zu fördern. Dabei unterstützt das Dart Center, das seit 2006 auch eine Präsenz in Deutschland hat, auch die die Aus- und Weiterbildung von Journalisten und bietet eine Reihe von Hilfestellungen zu Journalismus und Trauma.

Gemeinsam mit dem International Media Center Hamburg (IMCH) lud das Dart Center für Journalismus & Trauma zu einer Podiumsdiskussion nach Hamburg ein, an der neben Bruce Shapiro auch Gisela Mayer vom Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden, der Journalist und Krisenberichterstatter Thomas Görger, Petra Tabeling, die Leiterin des Dart Center Deutschlandsowie als Moderator Steffen Burkhardt, der Direktor des IMCH, teilnahmen.

Eröffnet wurde die Veranstaltung von Inmi Patterson, der Generalkonsulin der Vereinigten Staaten von Amerika in Hamburg. Sie erinnerte in ihrem Grußwort an die Ermordung Anna Politkovskayas in Moskau 2006 und daran, dass Journalisten eben nicht nur über gewaltsame Ereignisse berichten, sondern auch selbst Opfer von Gewalt werden können. Sie selbst sei 2006 an der US-Botschaft in Moskau tätig gewesen und könne sich noch gut daran erinnern, wie sie den Schauplatz der Tat selbst besichtigte. Insofern habe sich das Dart Center eine globale Aufgabe gegeben.

„Niemand hat mir als jungem Reporter gesagt, dass ich Angehörige von Opfern interviewen muss.“

Bruce Shapiro berichtete über Situationen, in denen Journalisten unerwartet in schwierige Situationen geraten, meist ohne dass sie ausreichend darauf vorbereitet seien. Als er selbst beispielsweise nach dem Hurrikan Katrina in New Orleans war und die provisorische Redaktion der lokalen Tageszeitung besuchte, sei er von dem Feuilletonredakteur und dem Restaurantkritiker empfangen worden, die sich plötzlich inmitten der Berichterstattung aus einem Katastrophengebiet fanden.

Und als ein Redakteur der Denver Post nach dem Amoklauf bei einer Kinopremiere des Films Batman: The Dark Knight Risesin Denver unter den Pressefotos auch ein Bild seines besten Freundes sah, der gerade die Nachricht vom Tod seiner Tochter entgegen nehmen musste, sprach er davon als dem ernüchterndsten und deprimierendsten Moment seines Lebens, in dem seine professionelle Arbeit sein eigenes persönliches Leben umfassten.

Professioneller Journalismus und Trauma haben viele Schnittstellen, denn Gewalt und tragische Ereignisse sind elementarer Bestandteil der Berichterstattung, nicht nur in der sensationalistischen Boulevardpresse. Wichtig sei allerdings, dass nicht nur die Tat, sondern auch die Nachwirkungen ihren Platz auf den Titelseiten fänden. Und, dass Journalisten für schwierige Situationen ausgebildet würden, nicht nur um sich selbst zu schützen, sondern auch im sensiblen Umgang mit Opfern und Angehörigen von Opfern.

„Können Sie das noch einmal in 20 Sekunden sagen?“

Gisela Mayer vom Aktionsbündnis Amaoklauf Winnenden nahm die Presse zwar in Schutz und sah die Schwierigkeit für einen Journalisten, die richtige Balance zwische Abstand und Nähe zu finden, berichtete aber auch von der Bitte an Opfer und Angehörige, ihren Augenzeugenbericht noch einmal umzuformulieren oder sich kürzer zu fassen. Stattdessen sollte Journalisten Opfer und Angehörige vielmehr nicht als Opfer, sondern Partner sehen, sie über das Ziel des Interviews und der Berichterstattung aufklären und vor allem authentisch sein.

Eine künstliche Mauer gegenüber den Interviewpartnern aufzubauen oder sich in schwierigen Situationen von der Umwelt abzuschotten sei nicht nur schwierig, sondern verhindere auch ein professionelles Arbeiten, ergänzte Thomas Görger, der als Reporter aus vielen Krisengebieten der Welt berichtete. Trotzdem seien Journalisten relativ gut vor posttraumatische Belastungsstörungen (PTSD) gefeit, denn die journalistische Arbeit als solche schütze sie bis zu einem gewissen Grad davor: Das Bewusstsein über den eigenen Auftrag und die Berichterstatterpflicht der Presse könne förmlich wie ein Schutzanzug wirken. Dennoch sei PTSD ein journalistisches Berufsrisiko und könne auch bei Journalisten zur Berufsunfähigkeit führen.

Ein gutes Redaktionsmanagement, professionelle Vorgesetzte, ein aufmerksamer Kollegenkreis und die Möglichkeit zur Inanspruchnahme professioneller Hilfe seien daher äußerst wichtig, auch in Zeiten, in denen Medien vor wirtschaftlichen Schwierigkeiten stünden, erläuterte Bruce Shapiro. Zudem lasse Trauma keine einfachen Worte zu. Es sei daher Aufgabe des Journalismus, nicht in Klischees zu verfallen, so Shapiro, sondern innovative Formen der Berichterstattung zu entwickeln und das Verständnis für die Situation der Opfer und die Folgen von Katastrophen zu fördern.

Dies stelle neue Herausforderungen an die professionelle Ethik, an das Redaktionsmanagement und die Ausbildung von Journalisten, könne aber am Ende dafür sorgen, alte Klischees zu überkommen, eine neue, sensiblere Berichterstattung zu etablieren und Journalisten besser vor den Risiken ihres Berufes zu schützen. 

(Klicken Sie hier für ein Interview mit Bruce Shapiro, Direktor des Dart Center fur Journalismus & Trauma, 11/2012.)  

(Klicken Sie hier für einen weiteren Artikel von Christian Möller, CARTA 2012.)